
Meine ersten Eindrücke
im Erstaufnahmelager im LaGeSo in Berlin
Hunderte Menschen warten vor rot-weißen Absperrungen. Um ein Auto herum drängelt sich ein Pulk von Menschen. Dort wird Essen verteilt.
So viele Geflüchtete – aber die Stimmung scheint mir ruhig und recht gelassen, als würden die Menschen das Gefühl haben, sie könnten uns, den Deutschen, vertrauen. Ich sehe auch Lächeln über Gesichter huschen. Dabei wirkt die Umgebung nicht gerade einladend.
Es gibt kaum eine Möglichkeit, sich vor Regen oder heißer Sonne zu schützen. Unterschlupf für kurze Zeit gibt es höchstens im Zelt beim Essen, in einem kleinen Raum für Frauen oder in der Kinderbetreuung. Ansonsten müssen die Menschen auf dem Platz draußen ausharren, egal wie das Wetter ist.

Meine ersten Eindrücke
im Erstaufnahmelager im LaGeSo in Berlin
So viele Menschen, so viele junge Männer, zwischendrin drei lustig herumflitzende kleine Mädchen.
Dann ein Blick zum Rand, wo ich auf dem Boden, auf Decken oder direkt auf der zertrampelten Wiese auch traurige, erschöpfte Menschen kauern oder liegen sehe, denen die durchlebten Schrecken im Gesicht abzulesen sind.
Ich bleibe auf Distanz und fotografiere nur ein zurückgelassenes Ruhelager.

Registrierung in der Erstaufnahmestelle
Die Flüchtlinge kommen aus den unterschiedlichsten Ländern, viele aus dem Kriegsgebiet Syrien, aus Afghanistan, dem Irak. Sie kommen in der Erstaufnahmestelle an, heilfroh, es bis hierher geschafft zu haben. Dann beginnt das lange Warten. Darauf, eine Nummer zugewiesen zu bekommen. Und anschließend darauf, dass diese Nummer aufgerufen wird, sie Papiere erhalten und eine längerfristige Flüchtlingsunterkunft irgendwo in Deutschland zugewiesen bekommen.
Die gesamte Prozedur ist undurchsichtig und raubt die Nerven. Manchmal müssen die Frauen, Männer, Kinder drei oder vier Wochen darauf warten, bis sie registriert sind, und sich während dieser Zeit jeden Tag wieder den Wartestrapazen im LaGeSo stellen.
Deshalb stehen viele schon morgens ab 5 Uhr vor dem Haupteingang, um als Erste reingelassen zu werden und möglichst weit vorn anstehen zu können. Manche nehmen sogar in Kauf, auf dem Boden vorm Haupteingang zu übernachten, egal wie unangenehm das ist. Wenn man eine Nummer bekommen hat, beginnt dann das Warten erneut, bis sie auf dem einzigen Monitor angezeigt wird.
Am Abend schließt das LaGeSo. Dann sollen die Flüchtlinge bestimmte Busse nehmen, die sie erstmal vorübergehend in Notunterkünfte bringen. Es ist mir unverständlich, warum all das nicht vereinfacht und verkürzt werden kann. Kann man nicht zwei Amtsstellen im Gebäude einrichten, um die lange Schlange zu halbieren? Wieso gibt es nur eine einzige Anzeigetafel, auf die hoch oben und kafkaesk anmutend alle Flüchtlinge starren müssen?
Was ist, wenn ein Flüchtling seine Nummer verpasst, weil er hungrig war oder aus anderem Grund die wichtige Tafel aus den Augen lassen musste?
Ein junger Afrikaner, den ich treffe, hatte Wochen beim LaGeSo gewartet. Nun bekam er seine neuen Papiere und ein Zugticket. Die nächste Adresse: eine Flüchtlingsunterkunft in Karlsruhe.
Abends bleiben trotz der Busfahrten in die Notunterkünfte immer wieder Menschen vor dem Gelände ohne Schlafplatz zurück. Oder neue Flüchtlinge kommen erst spät in Berlin an. Diese hoffen dann auf eine direkte Vermittlung durch ehrenamtliche Helfer, die versuchen, noch am gleichen Abend private Unterkünfte ausfindig machen. Manchmal gelingt das. Ansonsten müssen sie die Nacht als Obdachlose verbringen.

Moabit hilft
Lebensmittel, Wasser und Kleidung wurden hier zunächst nur durch die private Hilfe „Moabit hilft“ verteilt. Jemand sah die katastrophalen Zustände, dass viele Flüchtlinge in der Sommerhitze ohne Wasser und Essen dastanden und rief bei Facebook dazu auf, Wasser vorbei zu bringen. Diesem und anderen Aufrufen folgten viele Berliner, leiteten diese weiter. So wurde eine der erstaunlichsten Hilfsaktionen der Gegenwart geboren.
Erst nach mehreren Wochen war dann auch die Senatsverwaltung endlich so weit, sich um die Grundversorgung zu kümmern. Bis dahin wurden Wasser, Essen und Kleidung jeden einzelnen Tag privat gespendet und von ehrenamtlichen Helfern verteilt.
Engpässe gibt es aber immer wieder: Mittlerweile reichen die staatlich bereitgestellten Mahlzeiten aufgrund der stark angestiegenen Anzahl von Flüchtlingen nicht mehr aus. „Moabit hilft“ muss daher doch wieder mit privaten Essensspenden und -ausgaben unterstützen, um den hungrig zurückbleibenden Menschen und der damit verbundenen Verzweiflung und ansteigenden Aggression unter den Flüchtlingen entgegenzuwirken. Denn mit dem immer größer werdenden Strom der Flüchtlinge wandelt sich die Lage alle paar Tage: Die Stimmung wird angespannter. Inzwischen gibt es täglich neue Proteste von verzweifelten, verständnislosen, verunsicherten, wütenden und hilfesuchenden Geflüchteten.
Immer öfter verbreiten die Haupthelfer von „Moabit hilft“ deutliche Warnungen, Hilfe-Appelle und traurige Einblicke ins Tagesgeschehen vor Ort. Z.B. drohten zwei Flüchtlinge damit, von einem der Häuser zu springen. Oder ein Vater hob sein Kind hoch und drohte, es fallen zu lassen, wenn er nicht endlich drankommen würde. Regen, Kälte und bald vielleicht schon Frost und Schnee drohen die Situation weiter zu verschlimmern.

Engagement, Kompetenz und gegenseitige Hilfe
Es sind die vielen ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen, die die Situation erträglich machen. Was mich besonders beeindruckt: Immer wieder treffe ich auf gut ausgebildete, mehrsprachige, nun schon anerkannte Flüchtlinge, die das Schicksal der Neuankömmlinge kennen. Sie bringen eine unschätzbare Kompetenz mit, denn sie sprechen die Sprache der Flüchtlinge, können erklären oder helfen den „Neuen“ sich verständlich zu machen.
Wie bei der schwangeren Frau im Notfallwagen, die starke Beschwerden hat. Sie übersetzen, wann die Flüchtlinge welchen Bus nehmen müssen, um rechtzeitig zu einer Notunterkunft zu gelangen; sie übersetzen, wenn ein Geflüchteter seine Papiere verloren hat und dringend neue erhalten muss und so vieles mehr.
Diese ehrenamtlichen Helfer, die selbst auf der Flucht waren, sind unendlich froh, hier in Sicherheit zu sein. Sie haben oft selbst viel private Hilfe und Unterstützung erfahren, für die sie den Deutschen sehr dankbar sind.
Sehr beeindruckend sind dabei einige wendige, aufgeschlossene junge Männer mit dem unbedingten Willen Deutsch zu lernen und sich hier durchzuschlagen. Teilweise haben sie auch schon in vielen Ländern der Welt gearbeitet. Ich habe den Eindruck: Das sind Menschen, die ihre Ziele auch erreichen können.
Später höre ich laute arabische Musik und sehe in einem Kreis junger Männer andere junge Männer, die sich an den Schultern fassen und tanzen. Hier erlebe ich eine eigenartige Mischung aus Verzweiflung und fröhlicher Volksfeststimmung.

Ungewisse Zukunft
Über meine Freundin in Berlin erfahre ich, wie sich die Lage in der letzten Zeit weiter verschlimmert hat. Das LaGeSo scheint im Ausnahmezustand: Immer mehr Flüchtlinge, bis zu 500 täglich, kommen auf das Gelände, um sich registrieren zu lassen. Von der ersten Registrierung bis zur Ausgabe der benötigten Unterlagen vergehen inzwischen bis zu 57 Tage. Diese lange Zeit müssen die schon Registrierten auf dem LaGeSo-Gelände ausharren und auf ihre Nummer warten. Doch die Versorgung mit Lebensmitteln und die notärztliche Versorgung von staatlicher Seite reichen längst nicht mehr aus.
Und so sind es wieder die privaten Spenden und insbesondere die ehrenamtlichen Helfer, die mit enormem Kraftaufwand das Schlimmste verhüten.
Die Belastungsgrenze scheint erreicht, aber der Strom der Flüchtlinge endet nicht und der Winter steht vor der Tür. Was muss passieren, damit die Politik, der Berliner Senat, wir alle in Deutschland, diese humanitäre Katastrophe lindern und für die Neuankömmlinge würdige Lebensbedingungen schaffen können?